Starke Führung in herausfordernden Zeiten: Psychologische Kompetenzen sind unverzichtbar

Unsere Welt verändert sich rasend schnell. Führungskräfte stehen vor wachsenden Herausforderungen. Neben wirtschaftlichem Druck, Fachkräftemangel und strukturellen Veränderungen rückt ein Aspekt zunehmend in den Mittelpunkt wirksamer Führung: der Umgang mit psychischer Belastung – bei Mitarbeitenden ebenso wie bei einem selbst.

Die heutige Arbeitswelt wird oft als VUCA-Welt beschrieben: volatil (instabil), unsicher, komplex und ambivalent. Diese Dynamik fordert nicht nur von Organisationen ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit, sondern auch von den Menschen, die sie führen. Klassische Führungsmodelle, die auf Kontrolle und Klarheit beruhen, stoßen hier an ihre Grenzen. In der VUCA-Welt geht es weniger um starre Strukturen, sondern um Orientierung, emotionale Stabilität und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Führungskräfte, die psychologisch kompetent handeln, schaffen genau diesen Rahmen – sie geben Sicherheit in unsicheren Zeiten.

Psychologische Sicherheit als Führungsaufgabe

Psychologische Sicherheit ist in diesem Kontext eine Grundvoraussetzung für leistungsfähige Teams. Die Harvard-Professorin Amy C. Edmondson konnte in ihrer Forschung zeigen, dass Teams mit hoher psychologischer Sicherheit effektiver zusammenarbeiten, innovativer denken und resilienter auf Veränderungen reagieren.

Auch Googles groß angelegte Studie Project Aristotle bestätigt: Teams, in denen sich Menschen sicher fühlen, eigene Fehler zuzugeben oder schwierige Themen anzusprechen, zeichnen sich durch höhere Zufriedenheit, mehr Innovationskraft und bessere Leistung aus.

Doch diese Sicherheit entsteht nicht zufällig. Sie braucht Führungskräfte, die zuhören können, Orientierung geben und gleichzeitig sensibel für verborgene Spannungen oder Überforderungen bleiben. Das erfordert Kompetenzen, die über klassische Management-Tools hinausgehen.

Beispiel aus der Praxis: Eine Mitarbeiterin zieht sich nach einem Projekt abrupt zurück. Statt auf Leistungsabfall zu reagieren, erkennt die Führungskraft mögliche Ursachen: Überforderung oder emotionale Belastung. Ihre Reaktion: ein einfühlsames, klärendes Gespräch – ohne Druck, aber mit Klarheit. Die Wirkung: Bindung statt Distanz.

Mini-Check: Wie steht es um die psychologische Sicherheit in meinem Team?

Nach Goller & Bessant (2017) lässt sich psychologische Sicherheit im Team anhand zentraler Einschätzungen gut erfassen. Die folgenden Aussagen können als kleiner Selbsttest oder als Grundlage für eine Teamumfrage dienen:

  1. In unserem Team ist es akzeptiert, Risiken einzugehen, ohne Angst vor negativen Konsequenzen zu haben.
  2. Es fällt leicht, Kolleg*innen um Unterstützung zu bitten – und Hilfe wird offen angeboten und angenommen.
  3. Auch heikle oder kontroverse Themen können offen angesprochen werden, ohne dass dies zu Spannungen führt.
  4. Fehler werden nicht gegen Teammitglieder verwendet, sondern als Lernchancen verstanden.
  5. Niemand untergräbt bewusst die Arbeit anderer – gegenseitiger Respekt ist selbstverständlich.
  6. Unterschiede im Team werden anerkannt und geschätzt – Vielfalt wird als Stärke gesehen.
  7. Wissen und Erfahrungen werden aktiv geteilt – auch wenn etwas nicht funktioniert hat.
  8. Die Beziehungen im Team sind von gegenseitigem Vertrauen und Verbundenheit geprägt.
  9. Es ist in Ordnung, die eigene Meinung frei zu äußern – auch wenn sie von der Mehrheit abweicht.
  10. Insgesamt herrscht ein hohes Maß an Vertrauen im Team.

Eine Idee zur Anwendung: Die Aussagen durch das Team anonym einschätzen lassen – zum Beispiel auf einer Skala von 1 (trifft gar nicht zu) bis 5 (trifft voll zu). Die Ergebnisse liefern wertvolle Hinweise auf mögliche Spannungsfelder oder Entwicklungspotenziale.

Traumafolgen erkennen – auch im beruflichen Kontext

Was früher als rein therapeutische Thematik galt, ist heute längst Teil der Führungsrealität: Viele Mitarbeitende bringen belastende Erfahrungen mit – sei es aus der Kindheit, aus privaten Krisen oder durch extreme Anforderungen im Job. Unverarbeitete Traumata äußern sich oft indirekt: durch hohe Reizbarkeit, Rückzug, plötzliche Konflikte oder scheinbar unangemessene Reaktionen. Wer als Führungskraft ein Grundverständnis von Psychotraumatologie hat, kann solche Signale besser einordnen – und professionell darauf reagieren. Es geht nicht darum, Therapeut*in zu sein, sondern um Haltung, Sensibilität und klare Grenzen.

Führungsidentität: Zwischen Verantwortung und Selbstfürsorge

Führung heißt heute mehr denn je: Haltung zeigen. Ein Gespür für die eigene Rolle und Wirksamkeit zu entwickeln, ist dabei bedeutsam. Eine stabile Führungsidentität entsteht nicht über Nacht, sondern durch kontinuierliche Reflexion: Wer bin ich als Führungskraft? Welche Werte prägen mein Handeln? Wie gehe ich mit Konflikten um? Konfliktkompetenz heißt nicht, Konflikte zu vermeiden, sondern sie konstruktiv zu gestalten. Eine klare Führungskraft nimmt Spannungen ernst, spricht sie an – und bleibt dabei wertschätzend. Ein oft übersehener Aspekt: Führungskräfte sind selbst Menschen – mit Grenzen, Bedürfnissen und manchmal auch eigenen Verletzungen. Wer langfristig wirksam sein will, muss sich selbst gut kennen. Selbstfürsorge ist keine Schwäche, sondern eine Voraussetzung für Stabilität – gerade in der VUCA-Welt, in der emotionale Belastbarkeit zur Schlüsselressource wird.

Traumasensibel kommunizieren – mit Klarheit und Empathie

Besonders in angespannten Gesprächen zeigt sich, wie feinfühlig eine Führungskraft mit Sprache umgehen kann. Oft reicht ein einziger unbedachter Satz, um bei einem Mitarbeitenden Widerstand oder Rückzug auszulösen. Traumasensible Gesprächsführung bietet hier Werkzeuge, um achtsam, klar und gleichzeitig verbindlich zu kommunizieren. Dazu gehört:

  • das Erkennen von Stresssignalen,
  • das gezielte Einsetzen von Sprache, Tonfall und Körpersprache,
  • das Vermeiden von Triggern,
  • und die Fähigkeit, auch unangenehme Themen in einem geschützten Rahmen anzusprechen.

Kleine Intervention, große Wirkung: Ein „Wie geht’s Ihnen wirklich?“ zur richtigen Zeit kann mehr bewegen als ein ganzer Maßnahmenkatalog.

Impulse für persönliche Weiterentwicklung

Für alle, die ihre Führungskompetenz um psychologisches Fachwissen und kommunikative Stärke erweitern möchten, bieten wir drei praxisnahe Fortbildungen an:

Starke Führung beginnt bei uns selbst.

Quelle: Goller, I. & Bessant, J. (2017). Psychological Safety and Team Learning: The Role of Team Climate and Leadership. In: Academy of Management Proceedings.

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